Oskar Loerke
Der Oger
Roman

Genau hundert Jahre nach dem Erstdruck von 1921 erscheint diese erste und bislang einzige textkritische und mit Erläuterungen und einem Nachwort versehene Neuedition des epischen Hauptwerks von Oskar Loerke, eines Romans, dessen Wirkung als Unterstrom der Literatur des vergangenen Jahrhunderts bisher weitgehend unerkannt verlief und den es mit dieser Ausgabe neu zu entdecken gilt.

Aufstieg und Zerfall einer Familie: Oskar Loerkes Epos erzählt über fünf Generationen die Geschichte der Wendenichs, die unter dem Unstern einer Krankheit stehen. Es ist die Epilepsie, die das Verhältnis zwischen Vater und Sohn unerträglich belastet und zuvor schon das Ausleben der künstlerischen Neigungen des Vaters verhindert. Nicht von ungefähr wollte man in diesem Roman eine im bäuerlichen Milieu angesiedelte Variation der Buddenbrooks erkennen. Doch er ist viel mehr. Es finden sich in ihm grandiose Naturschilderungen, in ihrem Realismus geradezu apokalyptische Szenen auf einem Nordseekutter, die Darstellung vielfachen Scheiterns zahlreicher Nebenfiguren und nicht zuletzt die facettenreiche Behandlung der Epilepsie und der mit ihr einhergehenden psychosozialen Bedrängnisse. Es ist eine einzige Elegie des versäumten und verwehrten Lebens. Die durch die Krankheitserfahrung schmerzhaft gesteigerte Aufmerksamkeit der Hauptfigur begründet das Faszinierende des Romans, und Loerke findet einen ungekannten Ton: Die Schilderung extremer und zugleich luzider Bewusstseinszustände, dicht in die Erzählung hineingewobene Mythen und Märchenmotive wie das des monströsen, alles überschattenden Ogers sowie das Leitthema der Musik erzeugen einen schwebenden Erzählton zwischen Traum und Wirklichkeit. So etwas wird von Hütern der literarischen Konventionen in derartiger Konsequenz sonst nur der Lyrik zugestanden.

Herausgegeben von Dieter Heimböckel und Claus Zittel
Kometen der Moderne, Band 2
456 Seiten
gebunden, Leseband
12 × 19 cm
(D) € 28,00, (A) € 28,80, sFr 36,50 (UVP)
ISBN 978-3-946595-13-7

Auch als E-Book erhältlich

Pressestimmen

»Oskar Loerke … war auf dem besten Weg, in Vergessenheit zu geraten. … Da trifft es sich gut, dass der Düsseldorfer Leske-Verlag nun die Erinnerung an Loerke nährt, indem er dessen erzählerisches Hauptwerk … in einer schön aufgemachten und vorzüglich kommentierten Ausgabe … empfiehlt. Zu Recht! Es ist ein Werk, das es in hohem Maße verdient hat, nicht nur vorrätig gehalten, sondern auch gelesen zu werden. … Der Oger ist ein existenziell tiefsinniges und erzählerisch faszinierendes Buch.« – Helmuth Kiesel, Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Der Oger ist … ein literarisches Ereignis der besonderen Art. … Die üppige Farben-, Klang- und Metaphernwelt von Oskar Loerkes Roman verspricht in ihrer überschäumenden Exotik abenteuerliche Lektüreerlebnisse. … Der Roman bestätigt den Wert seiner Wiederentdeckung in vielfacher Weise, zumal die Herausgeber mit einem ausführlichen Anmerkungs- und einem vorzüglichen Kommentarteil sämtliche Barrieren, die sich zwischen diesen Epochenroman und seine Leser stellen könnten, aus dem Weg geräumt haben.« – Uwe Rauschelbach, Die Rheinpfalz

»Der von Dieter Heimböckel und Claus Zittel herausgegebenen neuen Edition von Der Oger kommt das Verdienst zu, diesen grandiosen und nahezu unbekannten Roman hundert Jahre nach seinem Erscheinen wiederzuentdecken. … Der erstaunliche sprachliche Reichtum und der erzählerische Verlauf verbinden sich hier, um eine Literatur der Verantwortung zu begründen, diese zu einem Fenster zur Welt zu verwandeln, durch welches wir eine allgegenwärtig beunruhigende Realität erfahren lernen. Gleichzeitig entfernt sich die durch das Leiden geschärfte Klarheit des Denkens vom phantastischen Eskapismus, wenn sie sich immer mehr auf eine befremdliche Realität einlässt.«Lucia Perrone Capano, Annali. Sezione germanica (Università di Napoli L’Orientale)

»Ins Schmerzhafte gesteigerte Sinnerfahrung und der in die Handlung einsickernde Mythos des monströsen Oger: Das alles könnte auch Thema der Lyrik des 1884 geborenen Oskar Loerke sein. Zum Glück aber hat er sich an diesen Roman gewagt. Ein Buch, in dem das Meer als Ort der Flucht beschrieben wird – vor der eigenen Familie.« – Marc Peschke, mare

»Nur Loerkes expressionistische Gedichte … werden immer mal wieder in Anthologien angeführt … und er gilt mit seiner Lyrik als eines der großen Vorbilder von Günter Eich oder Karl Krolow. Seine Prosa ist allerdings praktisch unbekannt. Zu Unrecht, jedenfalls, was den hier vor mir liegenden Oger betrifft. … Was den Roman in großen Teilen ausmacht, ist Loerkes Sprache. Zum Teil an den apokalyptischen Visionen der Bibel orientiert, vermag sie die düstere Atmosphäre perfekt wiederzugeben, die alle Personen des Romans packt. In der neueren deutschen Literatur kenne ich nur Hans Henny Jahnn, der im zweiten Teil von Fluß ohne Ufer eine ganz ähnliche Sprache verwendet – und Jahnn hat von Loerke gelernt. … Da ist die im Expressionismus häufiger anzutreffende Obsession mit einer (Geistes-)Krankheit, da ist der gewaltsame Tod, den Loerke so oft anspricht … So hat mich der Roman in vielem (außer in der Sprache, die ganz anders klingt – was beweist, dass auch der Expressionismus viele Facetten aufweisen kann) immer wieder an Döblins Erzählung Die Ermordung einer Butterblume erinnert. Leseempfehlung? Ja, auf jeden Fall.« – P. H., litteratur.ch

Oskar Loerke, 1884–1941, wird stets als Begründer der modernen Naturlyrik gewürdigt, der maßgeblich Autorinnen und Autoren wie Karl Krolow, Günter Eich, Wilhelm Lehmann, Christoph Meckel oder Elisabeth Langgässer beeinflusste. Als einer der Ersten erhielt er 1913 den später bedeutendsten deutschen Literaturpreis der Weimarer Republik, den Kleist-Preis, mit dem ungewöhnliche neue Begabungen gefördert wurden. Aber auch dank seiner mehr als zwanzig Jahre währenden Arbeit als Lektor für den Verlag S. Fischer sowie durch zahlreiche Essays und Kritiken ist er als wichtiger Akteur im Literaturbetrieb seiner Zeit noch heute bekannt. Vollkommen vergessen ist jedoch seine Prosa, obwohl Loerke damals auch als Erzähler Erfolg hatte. Der Oger ist Loerkes wichtigstes episches Werk, er hat über zehn Jahre daran gefeilt. Auch für die Entwicklung des deutschsprachigen Romans, insbesondere mit Blick auf das Erzählwerk des von Loerke geförderten Hans Henny Jahnn, ist die Bedeutung des Oger nicht zu überschätzen; es ist eines der zentralen Werke des sogenannten Magischen Realismus in Deutschland.